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Der beräderte Papa

Es ist kurz vor acht, als wir aus dem Badezimmer kommen. Jetzt müssen wir uns aber beeilen, denn um acht müssen wir spätestens in der Kita sein. Ich helfe meinem Sohn die Schuhe anzuziehen. Meine Frau ist heute Morgen schon früher zur Arbeit gefahren und darum bringe ich ihn nun allein in die Kita. Schnell ziehe ich ihm noch seine Jacke an, ziehe den Reisverschluss hoch und dann machen wir uns auch schon auf den Weg zum Auto.

Bis hierhin unterscheidet unseren morgendlichen Ablauf nicht allzu viel von den morgendlichen Abläufen anderer Eltern mit ihren Kindern, denn man liest nichts Besonderes aus der Schilderung heraus.

Doch spätestens, als mein Sohn ins Auto einsteigt, während ich von meinem Rollstuhl auf den Fahrersitz übersetze und diesen anschließend im Auto verlade, wird klar, dass ich ein Papa der seltenen Gattung mit Rädern bin.

Für uns als Familie ist es selbstverständlich, wenn ich mich mit dem Rollstuhl fortbewege. Der Rollstuhl gehört zu mir und ist über die vielen Jahre hinweg quasi zu einem Teil meines Körpers geworden. Ohne den Rollstuhl wäre mein Leben fast bis zum Stillstand hin ausgebremst, denn mir würde jegliche eigenständige Mobilität fehlen. So geht es sehr vielen Rollstuhlfahrern. Doch obwohl der Rollstuhl heutzutage immer mehr in unserer Gesellschaft Einzug hält, ist für manch einen Außenstehenden der Rollstuhl zuweilen auch heute noch immer etwas ganz Besonderes. Etwas, das zum Teil verunsichert. Dieses Besondere des Rollifahrens kann dann, in Kombination mit einem eigenen Kind, mitunter zu einer Steigerung des anscheinend Unvorstellbaren führen, wenn beispielsweise mein Sohn im Supermarkt voller Begeisterung zu mir herüberruft „Papa, guck mal was ich hier gefunden habe!“ und mir im Anschluss Blicke zugeworfen werden, als hätte ich soeben einen vierfachen Salto in schwindelnder Höhe am Trapez bewältigt. Während lautlos die Frage durch den Raum schwebt, „wie kann es sein, dass ein Rollifahrer ein gesundes Kind hat?“.

Beim Kindergarten angekommen, hebe ich den Rolli von der Rückbank aus dem Auto und stelle ihn neben die Fahrerseite. Dann setze ich die Räder wieder einzeln  an den Rahmen, klappe die Rückenlehne hoch und schwinge mich hinein. Mein Sohn ist indes schon ausgestiegen und zusammen eilen wir nun in den Kindergarten. In der Garderobe helfe ich ihm die Jacke auszuziehen und seine Schuhe gegen seine dortigen Hausschuhe zu wechseln. Ein neues Kind in der Gruppe meines Sohnes, dass mich also noch nicht kennt, wundert sich frotzelnd, so wie es Kinder eben tun, wenn ihnen etwas suspekt erscheint:“ Der hat ja kurze Beine! Und warum fährt der da drin?“

Mein Sohn geht zu ihm hinüber, hockt sich neben ihn und erklärt ihm im ruhigen Ton:“ Mein Papa hat Glasknochen und darum kann er nicht laufen und fährt im Rollstuhl!“

Das Grinsen des Jungen von eben ist verschwunden. Er sieht mich verständnisvoll an und sagt.“ Ach so!“

‚Ja, so einfach und ungezwungen läuft es zwischen Kindern ab‘, denke ich bei mir. Da könnte sich so manch Erwachsener ruhig mal etwas von abgucken.
Schnell nehmen wir uns noch einmal in die Arme und drücken uns. Dann läuft er auch schon los, zum Morgenkreis, wo die anderen aus seiner Gruppe bereits stehen.

Ich fahre wieder nach Hause, koche mir einen Kaffee und setze mich ins Büro, wo ich im Homeoffice anfange, meine Aufgaben für heute abzuarbeiten. Eine Stunde später beginnt die wöchentliche Online-Konferenz mit dem Marketing meiner Firma.
Nachdem wir ein Thema nach dem anderen abgearbeitet haben, beenden wir gegen Mittag unsere Konferenz. Ich schwinge mich um kurz nach zwölf Uhr wieder aus dem Rollstuhl in mein Auto und fahre zur Kita. Kaum angekommen, kommt mir auch schon mein Sohn auf dem langen Flur entgegengelaufen und fällt mir in die Arme.
Während ich ihn auffange und dabei aufpasse, dass seine Wucht nicht den Rolli umkippt, ruft er:“ Papa, da bist Du ja endlich!“

Auf dem Weg zum Ausgang holen wir noch seine Jacke aus der Garderobe, die er aber nicht anziehen muss, weil es mittlerweile sehr heiß geworden ist.

Am Auto angekommen klappe ich wieder die Rückenlehne um und ziehe die Räder, wie gewohnt ab, um den Rollstuhl wieder auf die Rückbank zu heben. Dies unterscheidet mich hier von den anderen Vätern.

Weil es so heiß ist, beschließen wir Eis essen zu fahren. Hierfür fahren wir beide in den Nachbarort, der eine Systemgastronomie mit Drive-In hat.
Als wir wenig später die Eisbecher durch das Autofenster hinein gereicht bekommen, bin ich doch ganz froh nicht noch einmal aussteigen zu müssen, denn als Rollifahrer überlegt man es sich doch sehr genau, wie oft man aussteigt.

Nachdem wir uns die kühle Leckerei haben schmecken lassen, fahren wir wieder zurück. Auf dem Weg machen wir noch einen kurzen Abstecher zum örtlichen Supermarkt. Schnell hebe ich erneut meinen Rollstuhl aus dem Auto, klappe die Rückenlehne um und stecke die Räder auf, während mein Sohn schon ausgestiegen ist und stolz einen kleinen Kindereinkaufswagen holt.

Kleine Einkaufswagen für Kinder werden mittlerweile von fast allen Handelsorganisationen für ihre zukünftigen Kunden zur Verfügung gestellt, doch auch für mich als Rollstuhlfahrer sind sie unheimlich praktisch. Manche Supermärkte haben zwar spezielle Rollstuhl-Einkaufswagen, die man an den Rollstuhl anklemmen kann, doch diese sind für mich ein wenig überdimensionalisiert, laufen zu schwergängig und sind daher auch ungelenk in ihrer Handhabung.

Schnell haben wir die nötigen Dinge eingekauft und kurz danach in das Auto eingeräumt. Während ich den Rollstuhl ins Auto verlade, bringt mein Sohn den Einkaufswagen zurück.
Zu Hause angekommen stecke ich zum fünften Mal an diesem Tag die Räder an den Rollstuhlrahmen ein und richte die Rückenlehne auf. Klar, es ist jedes Mal ein Mehraufwand, wenn ich aus dem Auto aussteige. Doch ohne den Rollstuhl würde ich noch nicht einmal zum Auto hinkommen.

Während ich das Abendessen vorbereite, darf mein Sohn seine Lieblingssendung im Fernsehen sehen. Gerade als ich die Kartoffel abgieße, kommt meine Frau auf den Hof gefahren. Zusammen decken wir auf und während wir essen, erzählt jeder von uns von seinem Tag. Nach dem Abendessen lassen wir den Tag dann gemeinsam ausklingen. Einen ganz normalen Tag im Leben eines Papas, nur eben mit Rädern.

 

 

 

 

Liebe Grüße,

Euer Willy

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